Hans Ulrich Abshagen

Hans Ulrich Abshagen, Jahrgang 1926, studierte Sprachen und Philosophie und promovierte über amerikanische Literatur. Über 40 Jahre lang war er als Geschäftsführer verschiedener Industrie- und Handelsgesellschaften und Aufsichtsratsvorsitzender von Aktiengesellschaften tätig. Er leitete Trainingsseminare für Aufsichtsräte und schrieb Fachbücher für Führungskräfte. Hans Ulrich Abshagen verstarb am 21. November 2017.

Warum haben Sie sich 1944 freiwillig für den Einsatz an der Ostfront gemeldet?

Ich wollte U-Boot-Kapitän werden. Doch bei der Marine wurde ich abgelehnt, weil die Sehfähigkeit meiner Augen nicht den erforderlichen hundert Prozent entsprach. Ich erinnerte mich an den Satz von Gneisenau, den ich oft von meinem Vater gehört hatte: »Die Infanterie trägt die schwerste Last des Kampfes; darum gebührt ihr auch der höchste Ruhm!« So bewarb ich mich, aktiver Infanterieoffizier zu werden. Ich war in ein Mädchen verliebt. Für sie wollte ich Heldentaten vollbringen.

Sie waren erst 17 Jahre alt. Hatten Sie keine Angst zu sterben?

Nein. Meine damalige Haltung zu Leben und Tod ist mir heute noch ein Rätsel. Wir dachten nur an Kämpfen und Siegen, an die Rettung unseres Vaterlandes, nicht aber an den möglichen eigenen Tod. Der betraf immer nur andere, nicht einen selbst. Deshalb hatten wir auch keine Angst. Natürlich lernten wir, im Kampf vorsichtig zu sein. Aber über den eigenen Tod haben wir – zumindest ich – nicht nachgedacht. Mein Traum war, dass ich nach dem Krieg als Held nach Hause zurückkehre.

Ihr Vater war in die Verschwörung des 20. Juli verwickelt. Wie haben Sie sich in dem Moment gefühlt, als Sie davon erfahren haben?

Mein Vater wünschte, dass zu Hause nicht über Politik gesprochen wird. Er meinte, in der Schule und der Hitler-Jugend wären genug Platz und Zeit dafür, und ich wollte diesem Gebot nicht widersprechen. Als ich nach dem Krieg erfuhr, dass mein Vater im Widerstand gegen Hitler tätig war, wollte ich das zunächst nicht glauben. Nach seiner Verhaftung wurde mir aber klar, dass er seinen Kindern und meines Erachtens sogar seiner Ehefrau von dieser Tätigkeit nichts erzählt hatte, um seine Familie im Notfall vor der Verfolgung durch die Nazis zu schützen. Das hat meinen Respekt und meine Zuneigung zu ihm noch weiter verstärkt.

Gab es den Moment, in dem Sie genau wussten, dass der Krieg für Deutschland verloren ist?

Während meiner aktiven Tätigkeit im Deutschen Jungvolk und als Offiziersanwärter in der Wehrmacht gehörte ich zu denjenigen, die bis zuletzt an den deutschen Endsieg glaubten. Als ich in russischer Gefangenschaft von den furchtbaren Gräueltaten der Nazis erfuhr, war meine erste Reaktion, dass die Sowjets ihre Gefangenen mit diesen Lügen bestrafen wollen. Erst als ich auch amerikanische Radiosender hören konnte, wurde mir allmählich klar, welche ungeheuren, ja undenkbaren Verbrechen im Volk der Dichter und Denker begangen wurden. Diese von mir für unmöglich gehaltene Wirklichkeit verfolgt mich bis heute.

Welches Ereignis aus den Fronttagen hat Sie am nachhaltigsten geprägt?

Ich war hinter der deutsch-russischen Front zusammen mit anderen deutschen Soldaten eingekesselt. In einer Feuerpause gelang es uns, zu fliehen. Plötzlich wurde unsere kleine Gruppe von sowjetischen Soldaten umringt. Die Russen hatten ihre Waffen auf uns gerichtet. Wir lagen zitternd am Boden und hofften, nicht getötet zu werden. Endlich wurden wir aufgefordert, aufzustehen und uns mit erhobenen Händen zu ergeben. Meine Kameraden waren klug genug gewesen, vor der Flucht ihre deutschen Orden wegzuwerfen. Als ich von einem Russen abgetastet wurde, entdeckte er unter meinem Mantel ein Ordensband. Mein deutscher Nachbar zischte mir zu: »Idiot! Dein blödes Band! Jetzt wirste umgelegt!« Mit dem Lauf des Maschinengewehrs im Rücken wurde ich zu einem Offizier geführt, der mich in fließendem Deutsch ansprach:

»Was ist das für ein Orden?«

Ich antwortete: »Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern.«

»Wofür?«

»Abschuss eines englischen Bombers bei der Flak in Berlin.«

»Machen Sie Ihr Ordensband ab!«

Ich riss das Band ab und steckte es in die Tasche.

»Nein! Werfen Sie es weg! Sonst kriegen Sie bei uns Probleme!«

Bis zum heutigen Tage weiß ich: Dieser Russe hat mir das Leben gerettet. Nie werde ich das vergessen.

Im Buch bleibt Ihre Liebesgeschichte mit Rose offen. Gab es ein Happy End?

Wenn ich mich jetzt bemühe, diese Frage zu beantworten, dann weiß ich, dass ich über den größten und folgenreichsten Fehler berichten muss, den ich in meinem langen Leben gemacht habe. Nur damals sah ich das nicht. Je älter ich werde, desto mehr verfolgen mich die Erinnerungen.

Nach der Gefangenschaft wollte ich erst mal viel und gut essen, endlich schlafen, einfach nichts tun. Meine Schwester Ilse drängte, dass ich mich um die Zulassung als Student an der Berliner Uni bemühen sollte. Eigentlich hatte ich dazu keine Lust, folgte aber schließlich dem Drängen der älteren Schwester und wurde auch sehr schnell an der Humboldt-Universität immatrikuliert. Ein paar Wochen später kam Rose nach Berlin, um den Heimkehrer wieder zu treffen. Das Mädchen, das mich in meinen Träumen durch die Kriegswirren begleitet hatte, war mir in diesem Moment fremd. Ich war ein neunzehnjähriger Junge, der ausgezogen war, für Hitler den Krieg zu gewinnen, der in sowjetischer Kriegsgefangenschaft gehungert hatte, um frei zu sein, ein junger Student. Ich wollte leben und die Welt entdecken. Für die Liebe war ich nicht bereit. Noch heute denke ich an Rose und sehne mich nach einem Leben an ihrer Seite. Ich habe es verpasst.






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