© Felix Raitz von Frentz
Portrait Matthias Kessler

Matthias Kessler

Matthias Kessler, Schriftsteller und Filmemacher, lebt in München. Sein Buch über Monika Göth, Tochter des Lagerkommandanten und Massenmörders Amon Göth (bekannt aus Schindlers Liste), mit dem Titel Ich muss doch meinen Vater lieben, oder? wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien von ihm Das Schicksal der Hexe Helena, ein Buch über den Malleus Maleficarum, den Hexenhammer, der die europäische Inquisition in Gang setzte.

MATTHIAS KESSLER IM INTERVIEW

Herr Kessler, ist Hitler ein schlechter Autor?

Nein. Er ist heimtückisch. Mein Kampf ist ein Sprung in den Kosmos eines Volksverführers, ein Blick in den Abgrund. In Eine Abrechnung (so lautet übrigens auch der Untertitel von Hitlers Buch) porträtiere ich die Entstehungsgeschichte von Mein Kampf von 1923 bis 1925. Das Buch zu entschlüsseln und so mehr über seinen Autor zu erfahren, ist das Ziel.

Sie offenbaren auch den Mann im Hintergrund: Dietrich Eckart.

Ich zeige die unheilvolle Verbindung zweier Männer, die die Weltgeschichte grundlegend änderten: Adolf Hitler und Dietrich Eckart. Hinter dem Projekt Mein Kampf steckt ein nur Eingeweihten bekannter Mann: Eckart war Publizist, Verleger, früher Anhänger des Nationalsozialismus und Vaterfigur Adolf Hitlers. Er prägte die Formeln »Drittes Reich«, »Mein Führer« und »Deutschland, erwache!«. Er war derjenige, der den Geniekult um Hitler herum initiierte und seinen Antisemitismus und Weltherrschaftsanspruch unterstützte und ausbaute.

»Mein Kampf« gilt als »ungelesener Bestseller«. Zu Recht?

Dr. Othmar Plöckinger vom Team des Instituts für Zeitgeschichte in München konnte mit einer ebenso simplen wie effektiven Methode beweisen, dass die Deutschen es lasen. Er untersuchte in der öffentlichen Bibliothek in Coburg, die im Krieg nicht zerstört wurde, die Ausleihkarten der Mein Kampf-Exemplare von 1925 bis 1945 und konnte so die Mär vom ungelesenen Bestseller widerlegen.

Sollte man diesem Werk heute überhaupt eine so große Bühne geben?

Mein Buch beruht auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Es geht darum, Mein Kampf zu entmystifizieren. Prof. Dr. Andreas Wirsching hat das einmal treffend formuliert: »Ein Verbot der Verbreitung führt nur dazu, dass Mein Kampf eine besondere Aura umgibt. Viele Menschen glauben, das Buch an sich sei in Deutschland verboten, dabei ist nur der Neudruck und die Verbreitung untersagt« – zumindest noch.

Wer die Auseinandersetzung mit Mein Kampf und seiner Entstehungsgeschichte sowie der Mentalitätsforschung scheut, verfällt in Verharmlosung, folgt dem Tenor der Nachkriegszeit, erliegt den Lügen vom angeblich dumpf formulierten Unrat. Doch das ist Unsinn. Das Buch ist brandgefährlich.

Wie erging es Ihnen selbst beim Lesen?

Ich habe gestaunt. Ich habe erbrochen. Ich habe geweint. Hitlers Sätze schaftstiefeln durchs Buch. Ab und an blitzt eine unangenehme Sauberkeit auf. Es gibt Kapitel und Sätze von erlesenem Blödsinn. Und dann existiert da noch »das Andere«, so wurde es immer von der Generation meiner Großeltern und Eltern genannt, das mit den Juden. Im »Anderen« geht es um Vernichtung, die das Buch atmet. Und das ist jetzt nicht vom Clubsessel des 21. Jahrhunderts aus betrachtet. Ich weiß nicht, wie Leben damals schmeckte, aber ich weiß, wie Blut schmeckt. Mein Kampf, das Buch? Es fordert Blut.

In seinen Sätzen erweist sich Hitler als Götze des Gemetzels, und seine Worte wuchern zur Dämonie der Phrase.

Was war Ihre persönliche Motivation für Ihr Buch?

Von Adolf Hitler gibt es Abermillionen Fotos, an eine jüdische Familie aus der Kölner Südstadt erinnern heute lediglich zwei Stolpersteine, etwa zehn mal zehn Zentimeter groß. Ich wollte das Schicksal dieser deutschen Familie jüdischen Glaubens porträtieren, die den gleichen Namen wie ich trägt, mit der ich nicht verwandt bin oder davon zumindest nichts weiß. Das war mein Wunsch, meine Motivation für dieses Buch. Eine

Mutter und ihre acht Kinder: Sie sind – wie Millionen und Millionen – Opfer von Hitlers Buch und seiner Vollstrecker. Ausgelöscht. Untergegangen … Shoa bedeutet Heimsuchung, Untergang, Zerstörung. Ich werde das Kapitel deshalb »Jonas und der Wal« nennen. Nur ist anders als in der Bibel der Wal der Leviathan des Hakenkreuzes.




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