Vor 100 Jahren: Die erste erfolgreiche Revolution in Deutschland läutet die Demokratie ein
Der Aufstand beginnt bei der deutschen Hochseeflotte, als Matrosen sich weigern, trotz der bereits feststehenden Kriegsniederlage zu einem letzten Gefecht gegen die britische Royal Navy auszulaufen. Er verbreitet sich in wenigen Tagen über das ganze Deutsche Reich und erreicht am 9. November 1918 Berlin. Hunderttausende Arbeiter demonstrieren, die Garnisonen schließen sich an, der Reichskanzler gibt die Abdankung des Kaisers bekannt, die Monarchie bricht zusammen, die Republik wird ausgerufen.Ziel der Revolutionsbewegung ist nicht die Diktatur des Proletariats. Sie will den preußischen Militarismus und die Reste des Kaiserreichs in Verwaltung, Justiz, Schulen und Universitäten beseitigen und eine von Grund auf demokratische Gesellschaft schaffen. Die Angst vor einer bolschewistischen Weltrevolution verhindert schließlich, dass der vorhandene Spielraum zu einer wirklichen Entmachtung der etablierten Kräfte genutzt wird, aber die erste Demokratie in Deutschland ist erfolgreich installiert.Wolfgang Niess schildert so lebendig wie sachkundig die friedliche und erfolgreiche Revolution, der wir die erste deutsche Republik verdanken. Zudem macht er deutlich, warum sie bis heute weitgehend verkannt, instrumentalisiert oder vergessen wurde. Die Zeit ist reif, sie als größte Massenbewegung in der deutschen Geschichte zu würdigen.Zum 100-jährigen Jubiläum: das aktuelle Werk über die große deutsche Revolution 1918/19 Der Aufstand der Massen – eine Sternstunde der Freiheitsbewegung und der Beginn der parlamentarischen Demokratie in Deutschland Jahrzehntelang vergessen, verschwiegen, für politische Zwecke instrumentalisiert – jetzt in ihrer wahren Bedeutung gewürdigt
»Die größte aller Revolutionen.« Theodor Wolff, Chefredakteur des Berliner Tageblatts, am 10.11.1918
»Diese Revolution ist der wirkliche Beginn der Demokratie in Deutschland.« Wolfgang Niess im Gespräch
Im November 2018 jährt sich zum 100. Mal die Revolution, die in Deutschland Kaiser und Könige gestürzt hat. Ein Grund zu feiern?
Ja, absolut. Diese Revolution ist der wirkliche Beginn der Demokratie in Deutschland. Es ist die größte Volksbewegung in der deutschen Geschichte, die am 9. November 1918 die Monarchien im Deutschen Reich hinwegfegt und dafür sorgt, dass Deutschland eine Republik wird. So machtvoll und unwiderstehlich, dass Zeitgenossen unter dem Eindruck dieses 9. November von der »größten aller Revolutionen« sprechen. Nicht nur Frankreich hatte seine Revolutionen, nicht nur Russland, auch Deutschland hatte sie. Was in der Revolution von 1848/49 nicht gelungen ist, das gelingt 1918/19 – und noch viel mehr. Diese Revolution hat Deutschland vorangebracht, und viele ihrer Errungenschaften sind für uns heute selbstverständlich: die demokratische Republik unddas Frauenwahlrecht, die Verankerung von freiheitlichen und sozialen Grundrechten in der Verfassung, der Achtstundentag und die Tarifpartnerschaft zwischen Unternehmerverbänden und Gewerkschaften, Betriebsräte und Mitbestimmung. Leider sind wir uns viel zu wenig bewusst, wie sehr unsere heutige Bundesrepublik von dem lebt, was die Revolutionsbewegung 1918/19 erkämpft hat.
Sie sprechen nicht nur vom November 1918, sondern von der Revolution von 1918/19 ...
Das klingt zwar nicht so anschaulich wie »Novemberrevolution«, aber es hat sich in der Geschichtswissenschaft durchgesetzt, weil die revolutionäre Umbruchzeit nicht im November 1918 beendet war, sondern mindestens bis zum Mai 1919 angedauert hat.
In unserer heutigen Geschichtskultur spielt diese Revolution am Ende des Ersten Weltkriegs keine große Rolle, weder in Schulbüchern noch im allgemeinen Geschichtsbewusstsein. Wieso?
Revolutionen haben es meist nicht leicht, ins Geschichtsbewusstsein der Nation vorzudringen. Auch die große Französische Revolution hat 100 Jahre gebraucht. Und im Fall der deutschen Revolution von 1918/19 kommt noch dazu, dass sie viele Jahrzehnte ins Räderwerk der politischen Auseinandersetzungen geraten ist. Für Hitler war sie der Albtraum, der sich nie wiederholen sollte. Der Nationalsozialismus hat sich von Anfang an als Gegenbewegung zur Revolution von 1918/19 verstanden. Später hat die DDR sich selbst als den deutschen Staat gesehen, der die Revolution vollendet hat, und im Westen hat man sich in der Zeit des Kalten Krieges entsprechend von ihr distanziert. Da konnte man sogar lesen, es habe sich eigentlich um gar keine wirkliche Revolution gehandelt oder um eine ganz und gar unnötige. Richtig ist allerdings, dass die Revolution von 1918/19 ihr Potenzial nicht ausschöpfen konnte. Es wäre mehr drin gewesen, um es salopp zu sagen.
Können Sie das ausführen?
Es ist eine weitgehend spontane Revolutionsbewegung der Arbeiter und Soldaten, die Anfang November die Macht in Deutschland erobert. Keine Partei oder Gruppe steuert diese Bewegung, die sich ganz selbstverständlich in Arbeiter- und Soldatenräten organisiert. Diese Räte haben die politische Macht im Land. Sie setzen eine gemeinsame Regierung der beiden sozialistischen Parteien SPD und USPD ein. Sie machen aber immer wieder auch klar, wohin die politische und gesellschaftliche Reise gehen soll: Die Mehrheit will eine parlamentarische Demokratie, aber sie will auch einen Schlussstrich unter den preußisch- deutschen Militarismus ziehen. Sie will demokratische Verhältnisse und demokratischen Geist in der Verwaltung, in den Schulen, in der Justiz. Und sie will nicht zuletzt mit dem Aufbau des Sozialismus beginnen, zunächst mindestens die Macht der Kohle- und Stahlbarone brechen, die schon im Kaiserreich eine unselige Allianz mit dem Militarismus eingegangen sind. Von diesem Programm ist am Ende nur ein bescheidener Teil verwirklicht worden. Es wäre mehr möglich gewesen, und vielleicht hätte das uns und der Welt das »Dritte Reich« Adolf Hitlers erspart...
Was hat Ihr Interesse an dieser jahrelang vergessenen Revolution geweckt?
Mir ist sie in den 1970er-Jahren während des Studiums zum ersten Mal begegnet, und sie hat meinen Blick auf die deutsche Geschichte verändert. Sie hat mich seither nie losgelassen, auch weil in ihr so viele Ideen im Hinblick auf eine demokratische und soziale oder sozialistische Gesellschaft stecken. Mit dem Scheitern der staatssozialistischen Modelle hat sich ja die Frage nicht erledigt, wie wir am besten ein Höchstmaß an Demokratie, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit in allen Bereichen unserer Gesellschaft verwirklichen können. So können wir sie jetzt als bedeutsames historisches Ereignis würdigen, das bis heute großen Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie in Deutschland hat. Und wir können sie wieder aus dem Tal des Vergessens holen, in dem sie vor etwa 30 Jahren verschwunden ist. Sie hat uns, da bin ich sicher, auch heute viel zu sagen. Zum Beispiel, dass Demokratie nie als Geschenk kommt, sondern immer erkämpft werden muss, dass sie gehütet werden muss wie ein Augapfel, weil sie auch wieder verloren gehen oder beseitigt werden kann. Demokratie ist lebensnotwendig für eine freie und gerechte Gesellschaft, aber sie ist alles andere als selbstverständlich.
Wolfgang Niess auf der Buchmesse 2018:
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