Phyllis Omido, Andrea C. Hoffmann

Mit der Wut einer Mutter

Die Geschichte der afrikanischen Erin Brockovich

208 Seiten
gebunden mit Schutzumschlag
13,7 × 21,7 cm


18,00 € (D) / 18,50 € (A) inkl. MwSt.
ISBN 978-3-95890-280-0

 

Wir gratulieren unserer Autorin Phyllis Omido zum Right Livelyhood Award – dem Alternativ-Nobelpreis für Frauenrechte, Naturschutz und Seenotrettung

 
Eine Mutter im Kampf gegen die Bleischmelzen in Kenia – die Geschichte der »afrikanischen Erin Brockovich«
 
Als Phyllis Omido 2007 ihren neuen Job in der Verwaltung einer Recyclinganlage für Altbatterien nahe Mombasa antritt, stürzt sie sich mit Eifer in die Arbeit. Doch plötzlich erkrankt ihr kleiner Sohn lebensgefährlich: Der Bleigehalt in seinem Blut ist um das 37-Fache erhöht, das Kind ist hochgradig vergiftet. Als die junge Mutter recherchiert, was ihren Sohn krank gemacht hat, stößt sie auf alarmierende Ergebnisse: Seit ihre Fabrik vor Ort tätig ist, häufen sich massive Gesundheitsbeschwerden bei der Bevölkerung. Kurzerhand kündigt Phyllis ihren Job, pflegt ihr Kind und sammelt Beweise für die lebensbedrohlichen Umweltsünden ihres Arbeitgebers.
 
Unermüdlich warnt sie vor dem bleiverseuchten Grundwasser im Umkreis der Anlage, organisiert Massenproteste und erzwingt unter Gefährdung ihres Lebens die Schließung der Metal Refinery. Als die Regierung die Fabrik erneut öffnet, wendet sich die Alleinerziehende an internationale NGOs und startet ihren Kampf gegen die Bleischmelzen in ganz Kenia. Mit der Wut einer Mutter legt sich Phyllis Omido mit internationalen Unternehmen an und verklagt sogar den kenianischen Staat auf Wiedergutmachung und das Recht auf unversehrte Gesundheit. In ihrem mit Spannung erwarteten Buch erzählt die wohl mutigste Umweltaktivistin Afrikas erstmals ihre ganze Geschichte und zeigt dabei auch globale Zusammenhänge auf: Denn ein Großteil des krank machenden Bleis stammt aus Europa, das in Afrika unter Missachtung geltender Umweltauflagen entsorgt wird.
 
»Allein in Afrika werden jedes Jahr 800 000 Tonnen Blei ohne Beachtung der Umweltauflagen recycelt, ein Großteil davon kommt aus Europa. Die finanziellen Interessen dahinter sind enorm.«
Phyllis Omido
 
„Was hat eine Bleihütte in Kenia mit uns zu tun? Eine ganze Menge, denn ohne Bleibatterie geht in Deutschland kaum ein Auto vom Band. Phyllis Omidos mutiger Kampf zeigt uns die dramatischen Schattenseiten der globalen Blei- und Batterieindustrie."
Andreas Manhart, Senior Researcher Produkte & Stoffströme, Öko-Institut Freiburg

• Preisträgerin des "Right Livelyhood Award", der Alternativ-Nobelpreis für Frauenrechte, Naturschutz und Seenotrettung
• Eine Mutter kämpft um das Leben ihres Kindes und das Recht auf Gesundheit
• Phyllis Omido gehört zu den renommiertesten Umweltaktivistinnen der Welt und wurde mit dem Goldman-Umweltpreis ausgezeichnet
• Große Pressereise und Medienauftritte in Deutschland im Oktober 2019

 
»Wenn die Menschen in Europa die Flüchtlingsströme aufhalten wollen, dürfen sie sich nicht länger mitschuldig machen an den Zuständen in Afrika.«
Phyllis Omido im Gespräch

Als Sie Ihren Job bei der Metal Refinery EPZ nahe Mombasa antraten, glaubten Sie zunächst an einen Glücksfall.
Ja, als ich von der Stelle in Owino Uhuru erfuhr, war ich sehr interessiert. Ich konnte meinen Sohn mit zur Arbeit nehmen und ich glaubte, als alleinerziehende Mutter meine Aufgaben so besser unter einen Hut bringen zu können. Schließlich musste ich nicht nur für meine Geschwister sorgen, sondern seit Kurzem auch für meinen kleinen Sohn King. Ich hatte ja keine Ahnung, wie hoch der Preis dafür sein würde. Meine neue Firma verdiente ihr Geld damit, Blei aus alten Autobatterien herauszuschmelzen. Da Europa nahezu die Hälfte seiner ausrangierten Autos nach Afrika exportiert, mangelte es auch nicht an Aufträgen.
 
Doch dann wurde Ihr Sohn krank?
Erst waren es Hautausschläge, dann Erbrechen, und zuletzt hatte er sehr starke Fieberschübe. Ich war krank vor Sorge um mein Baby und brachte King ins Krankenhaus. Doch es blieb unklar, was dem Kleinen fehlte. Aus einem Impuls heraus bat ich die Ärzte, den Bleigehalt in Kings Blut zu testen. Und das Ergebnis war niederschmetternd: Die Bleikonzentration in seinem Organismus war 37-mal höher, als sie sein sollte. Vor allem für so kleine Kinder ist das sehr gefährlich: Das Metall dringt direkt in ihr System ein, und auch ihr Gehirn wird in Mitleidenschaft gezogen. Mit anderen Worten: Es war weder klar, ob King überleben würde, noch, ob seine intellektuelle Leistungsfähigkeit dadurch eingeschränkt bliebe. Ohne zu wissen, woher ich das Geld dafür nehmen sollte, veranlasste ich alle medizinischen Maßnahmen für die Entgiftung meines kleinen Jungen – und für meine eigene. Wie sich herausstellte, hatte King keinen direkten Kontakt mit dem Blei, aber er hatte das Gift beim Stillen über die Muttermilch aufgenommen.
 
Wie ging es danach weiter?
Ich schmiss meinen Job und zog mit King zurück nach Mombasa. Doch mir gingen die Menschen in Owino Uhuru nicht aus dem Kopf. Ich fühlte mich verantwortlich dafür, sie zu warnen. Viele Bewohner hatten mir erzählt, dass sie nachts vor lauter Husten nicht schlafen könnten und dass ihr Trinkwasser merkwürdig schmecke. Also fuhr ich zurück, lief von Hütte zu Hütte und erzählte allen, was ich erlebt hatte. Da ich nicht mehr für Metal Refinery arbeitete, öffneten sich die Bewohner und erzählten mir, wie es in ihrem Dorf wirklich aussah. Viele hatten ebenfalls kranke Kinder zu Hause. Außerdem berichteten sie, dass nachts schwarze Wolken aus den Fabrikschornsteinen aufstiegen und dreckige Brühe aus einem Abfluss direkt in den Boden geleitet würde. Wir schafften es, Geld für weitere Bluttests aufzutreiben, und alle getesteten Kinder waren ebenfalls hochgradig mit Blei vergiftet.
 
Das war also der Startschuss für Ihr Engagement als Umweltaktivistin?
Ja. Zusammen mit anderen Frauen gründete ich eine NGO, das »Zentrum für Gerechtigkeit, Regierungsführung und Umweltschutz«. Wir schrieben Beschwerdebriefe an die öffentliche Verwaltung und organisierten Demonstrationen. Einmal konnten wir mehrere Tausend Menschen organisieren und blockierten die Hauptstraße zwischen Mombasa und Nairobi. Das machte Eindruck, und wir wurden endlich wahrgenommen – vor allem ich. Als wir weitere Demonstrationen organisierten, wurde ich mehrfach festgenommen. Bald griffen sie auch zu anderen Mitteln: Als ich eines Abends nach Hause kam, lauerten mir zwei Männer auf, die mich brutal niederschlugen. Meine Gegner versuchten auch mehrfach, meinen Sohn zu entführen, und schickten mir Todesdrohungen. Man wollte mich definitiv zum Schweigen bringen.
 
Aber Sie haben weitergekämpft …
Durch diese Vorfälle wurde mir klar, dass ich vor allem eines brauchte: Öffentlichkeit. Nicht nur in Mombasa, sondern weltweit. Ich kontaktierte internationale NGOs und machte sie auf unsere Arbeit aufmerksam. Front Line Defenders und Human Rights Watch erklärten sich als Erste bereit, uns mit juristischem Rat und einer Öffentlichkeitskampagne zu unterstützen. Dank ihrer Unterstützung konnten wir beweisen, dass viele Einwohner in Owino Uhuru hochgradig mit Blei vergiftet waren. Als sich die Regierung weiterhin weigerte, die Fabrik zu schließen, wendeten wir uns an die East African Community, eine zwischenstaatliche Einrichtung mit eigenem Gerichtshof. Dieser verabschiedete ein neues Gesetz, das den Export von Blei und Bleilegierungen aus Ostafrika verbietet. Ein harter Schlag gegen die Bleischmelzen. Aber der Erlass eines neuen Gesetzes bedeutet noch lange nicht, dass sich hier irgendjemand daran hält. Also legten wir uns auf die Lauer und notierten die Nummernschilder aller Lastwagen, die von den Firmen in Richtung Hafen fuhren. Die Autonummern gaben wir so lange an die Behörden weiter, bis die Kosten-Nutzen-Rechnung der Firmen irgendwann nicht mehr aufging und zwölf Wiederaufbereitungsanlagen ihre Arbeit einstellten – darunter auch die Metal Refinery in Owino Uhuru.
 
Das Dorf konnte also endlich aufatmen?
Im wahrsten Sinne des Wortes. Die giftigen Dämpfe sind verschwunden. Trotzdem ist die Bilanz für Owino Uhuru verheerend. Innerhalb von fünf Jahren gab es 124 Fehlgeburten und 79 Todesfälle. Und Boden und Trinkwasser sind weiterhin hochgradig verseucht. Unser Kampf ist also keinesfalls zu Ende. Im Namen der Bewohner von Owino Uhuru haben wir eine Sammelklage gegen Metal Refinery eingereicht – und gegen den kenianischen Staat: Denn wir konnten nachweisen, dass die Regierung lange vor unseren offiziellen Testergebnissen von den massiven Bleivergiftungen wusste. Wir klagen auf Schadensersatz in Höhe von 13 Millionen Euro für die Bewohner und die vollständige Aufbereitung des Landes und des Wassers.
 
Das Urteil steht noch aus. Wie bewerten Sie Ihre Chancen?
Die Beweislast ist erdrückend. Doch sicher sein kann man nie. Ein positives Urteil könnte aber weit über Kenia hinaus Signalwirkung entfalten. Allein in Afrika werden jedes Jahr 800 000 Tonnen Blei recycelt. In Asien sieht es nicht viel anders aus. Und in all diesen Ländern wird die Bevölkerung nicht über die gesundheitlichen Folgen aufgeklärt. Ein positives Urteil würde vor allem auch den Menschen in Europa und Amerika vor Augen führen, welche Folgen ihre Autotransporte in die Dritte-Welt-Länder haben. Wenn sie die Flüchtlingsströme aufhalten wollen, dürfen sie sich nicht länger mitschuldig machen an den Zuständen in Afrika. Doch egal wie das Urteil ausfällt – ich werde weiter dafür kämpfen, dass den Verantwortlichen endlich die Augen geöffnet werden.

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