Erst waren es Hautausschläge, dann Erbrechen, und zuletzt hatte er sehr starke Fieberschübe. Ich war krank vor Sorge um mein Baby und brachte King ins Krankenhaus. Doch es blieb unklar, was dem Kleinen fehlte. Aus einem Impuls heraus bat ich die Ärzte, den Bleigehalt in Kings Blut zu testen. Und das Ergebnis war niederschmetternd: Die Bleikonzentration in seinem Organismus war 37-mal höher, als sie sein sollte. Vor allem für so kleine Kinder ist das sehr gefährlich: Das Metall dringt direkt in ihr System ein, und auch ihr Gehirn wird in Mitleidenschaft gezogen. Mit anderen Worten: Es war weder klar, ob King überleben würde, noch, ob seine intellektuelle Leistungsfähigkeit dadurch eingeschränkt bliebe. Ohne zu wissen, woher ich das Geld dafür nehmen sollte, veranlasste ich alle medizinischen Maßnahmen für die Entgiftung meines kleinen Jungen – und für meine eigene. Wie sich herausstellte, hatte King keinen direkten Kontakt mit dem Blei, aber er hatte das Gift beim Stillen über die Muttermilch aufgenommen.
Wie ging es danach weiter?
Ich schmiss meinen Job und zog mit King zurück nach Mombasa. Doch mir gingen die Menschen in Owino Uhuru nicht aus dem Kopf. Ich fühlte mich verantwortlich dafür, sie zu warnen. Viele Bewohner hatten mir erzählt, dass sie nachts vor lauter Husten nicht schlafen könnten und dass ihr Trinkwasser merkwürdig schmecke. Also fuhr ich zurück, lief von Hütte zu Hütte und erzählte allen, was ich erlebt hatte. Da ich nicht mehr für Metal Refinery arbeitete, öffneten sich die Bewohner und erzählten mir, wie es in ihrem Dorf wirklich aussah. Viele hatten ebenfalls kranke Kinder zu Hause. Außerdem berichteten sie, dass nachts schwarze Wolken aus den Fabrikschornsteinen aufstiegen und dreckige Brühe aus einem Abfluss direkt in den Boden geleitet würde. Wir schafften es, Geld für weitere Bluttests aufzutreiben, und alle getesteten Kinder waren ebenfalls hochgradig mit Blei vergiftet.
Das war also der Startschuss für Ihr Engagement als Umweltaktivistin?
Ja. Zusammen mit anderen Frauen gründete ich eine NGO, das »Zentrum für Gerechtigkeit, Regierungsführung und Umweltschutz«. Wir schrieben Beschwerdebriefe an die öffentliche Verwaltung und organisierten Demonstrationen. Einmal konnten wir mehrere Tausend Menschen organisieren und blockierten die Hauptstraße zwischen Mombasa und Nairobi. Das machte Eindruck, und wir wurden endlich wahrgenommen – vor allem ich. Als wir weitere Demonstrationen organisierten, wurde ich mehrfach festgenommen. Bald griffen sie auch zu anderen Mitteln: Als ich eines Abends nach Hause kam, lauerten mir zwei Männer auf, die mich brutal niederschlugen. Meine Gegner versuchten auch mehrfach, meinen Sohn zu entführen, und schickten mir Todesdrohungen. Man wollte mich definitiv zum Schweigen bringen.
Aber Sie haben weitergekämpft …
Durch diese Vorfälle wurde mir klar, dass ich vor allem eines brauchte: Öffentlichkeit. Nicht nur in Mombasa, sondern weltweit. Ich kontaktierte internationale NGOs und machte sie auf unsere Arbeit aufmerksam. Front Line Defenders und Human Rights Watch erklärten sich als Erste bereit, uns mit juristischem Rat und einer Öffentlichkeitskampagne zu unterstützen. Dank ihrer Unterstützung konnten wir beweisen, dass viele Einwohner in Owino Uhuru hochgradig mit Blei vergiftet waren. Als sich die Regierung weiterhin weigerte, die Fabrik zu schließen, wendeten wir uns an die East African Community, eine zwischenstaatliche Einrichtung mit eigenem Gerichtshof. Dieser verabschiedete ein neues Gesetz, das den Export von Blei und Bleilegierungen aus Ostafrika verbietet. Ein harter Schlag gegen die Bleischmelzen. Aber der Erlass eines neuen Gesetzes bedeutet noch lange nicht, dass sich hier irgendjemand daran hält. Also legten wir uns auf die Lauer und notierten die Nummernschilder aller Lastwagen, die von den Firmen in Richtung Hafen fuhren. Die Autonummern gaben wir so lange an die Behörden weiter, bis die Kosten-Nutzen-Rechnung der Firmen irgendwann nicht mehr aufging und zwölf Wiederaufbereitungsanlagen ihre Arbeit einstellten – darunter auch die Metal Refinery in Owino Uhuru.
Das Dorf konnte also endlich aufatmen?
Im wahrsten Sinne des Wortes. Die giftigen Dämpfe sind verschwunden. Trotzdem ist die Bilanz für Owino Uhuru verheerend. Innerhalb von fünf Jahren gab es 124 Fehlgeburten und 79 Todesfälle. Und Boden und Trinkwasser sind weiterhin hochgradig verseucht. Unser Kampf ist also keinesfalls zu Ende. Im Namen der Bewohner von Owino Uhuru haben wir eine Sammelklage gegen Metal Refinery eingereicht – und gegen den kenianischen Staat: Denn wir konnten nachweisen, dass die Regierung lange vor unseren offiziellen Testergebnissen von den massiven Bleivergiftungen wusste. Wir klagen auf Schadensersatz in Höhe von 13 Millionen Euro für die Bewohner und die vollständige Aufbereitung des Landes und des Wassers.
Das Urteil steht noch aus. Wie bewerten Sie Ihre Chancen?
Die Beweislast ist erdrückend. Doch sicher sein kann man nie. Ein positives Urteil könnte aber weit über Kenia hinaus Signalwirkung entfalten. Allein in Afrika werden jedes Jahr 800 000 Tonnen Blei recycelt. In Asien sieht es nicht viel anders aus. Und in all diesen Ländern wird die Bevölkerung nicht über die gesundheitlichen Folgen aufgeklärt. Ein positives Urteil würde vor allem auch den Menschen in Europa und Amerika vor Augen führen, welche Folgen ihre Autotransporte in die Dritte-Welt-Länder haben. Wenn sie die Flüchtlingsströme aufhalten wollen, dürfen sie sich nicht länger mitschuldig machen an den Zuständen in Afrika. Doch egal wie das Urteil ausfällt – ich werde weiter dafür kämpfen, dass den Verantwortlichen endlich die Augen geöffnet werden.