Harry Gmür

Reportagen von links

Vier Jahrzehnte Kampf gegen Faschismus und Kolonialismus

336 Seiten
gebunden mit Schutzumschlag
Mit einem Vorwort von Jean Ziegler
13,5 × 21,5 cm

Erscheint im Oktober 2020


25,00 € (D) / 25,70 € (A) inkl. MwSt.
ISBN 978-3-95890-334-0

Ein wichtiges Dokument europäischer Zeitgeschichte: Harry Gmürs Engagement gegen Faschismus, Kapitalismus und Kolonialismus
 
Das Buch vereinigt Reportagen, Essays und Kommentare des Schweizer Schriftstellers und Publizisten Harry Gmür, die er in den Jahren des Nationalsozialismus unter seinem Namen und während des Kalten Krieges unter verschiedenen Pseudonymen verfasst hat. In den 1930er-Jahren beschrieb er die faschistischen Strömungen in der Schweiz und die hitleraffine und Franco-freundliche Politik der helvetischen Landesregierung, die er mit schonungsloser Schärfe kritisierte, zumeist in Artikeln seiner eigenen Wochenzeitschrift ABC. In den 1950er-Jahren bis zu seinem Tode berichtete er, vor allem in der ostdeutschen Weltbühne und in Büchern, über seine Afrikareisen und analysierte kenntnisreich die Befreiungskämpfe verschiedener afrikanischer Länder vom Joch des Kolonialismus. Ebenfalls mit kritischem Blick bereiste er die damaligen westlichen Diktaturstaaten wie Spanien und Griechenland.
 
Mit der gleichen stilistischen Eleganz, die man von seinen Romanen kennt, vereinigt Harry Gmür anschauliche Erlebnisschilderungen und brillante Stimmungsbilder mit kenntnisreichen Analysen der politischen Vorgänge – das politische Vermächtnis eines engagierten Antifaschisten und ein wichtiges Dokument der Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts.
 
• Ein wichtiges Dokument der Zeitgeschichte: engagierte Reportagen eines überzeugten Antifaschisten und Antiimperialisten
• Eindrucksvolle Stimmungsbilder und brillante Analysen über den Weg afrikanischer Staaten in die Unabhängigkeit
 
»Vor allem aus Afrika berichtend, vermittelte Harry Gmür (…) eindrückliche Stimmungsbilder und scharfsinnige Analysen der dortigen Dekolonisationsprozesse.«
Damir Skenderovic
 

Vorwort von Jean Ziegler
 
Im dänischen Exil 1938 verfasste Bertold Brecht das Stück Leben des Galilei. In der 13. Szene sagt der Arbeiter Andrea: »So viel ist gewonnen, wenn nur einer aufsteht und sagt ›nein!‹« … Harry Gmür war ein Dissident. Wie Peter Surava, Konrad Farner, Carl Albert Loosli und einige wenige andere.
 
Dissidenten zahlen in der Schweiz einen hohen persönlichen Preis: Sie werden verunglimpft, verleumdet, zensuriert und von Regierung und Behörden in jeder möglichen Form belästigt und verfolgt. Harry Gmür hat dieses Schicksal seit den späten 1930er-Jahren bis zu seinem Tod 1979 erduldet. Harry Gmür war ein brillanter Schriftsteller, ein kluger politischer Analytiker und seit den frühen 1940er-Jahren ein prinzipientreuer Kommunist. Die Reportagen von links sind Zeitdokumente von höchster Wichtigkeit und Aktualität. Die Herrschaftsklassen der Schweiz werden mit ihrer historischen Verantwortung konfrontiert. Harry Gmür hat den Kampf für Gerechtigkeit, Transparenz und Wahrheit nie aufgegeben. Eine wahrscheinlich entscheidend wichtige Rolle dabei spielte zeitlebens seine Gattin Gena, die mit kritischer Intelligenz sein  Schaffen begleitete und die Familie vor den schlimmsten Verfolgungen schützte.
 
»Seul est libre qui use de sa liberté« (»Frei ist nur, wer seine Freiheit nutzt«), sagt Voltaire. Harry Gmür war zeit seines Lebens ein freier, radikal unabhängiger Geist.
 
Nikolai Bucharin, der junge Bolschewik, der Lenin am nächsten stand, schreibt: »Die Demokratie ist die Staatsform des Bürgertums, wenn es nicht Angst hat, die Diktatur, wenn es Angst hat.«
 
Jahre vor der Machtergreifung wurde Adolf Hitler von der Familie Wille und anderen Großaktionären der Schweizerischen Kreditanstalt (später Crédit Suisse) in Zürich empfangen. Niklaus Meienberg hat die frühzeitige finanzielle Unterstützung der Nazi-Monster durch helvetische Kapitalisten dokumentiert. Die schweizerischen Herrschaftsklassen und der Bundesrat näherten sich im Verlauf der späten 1930er-Jahre immer deutlicher den Achsenmächten an. Ein Gräuel für Harry Gmür! Die faschistischen Sympathien des Bundesrates zeigten sich besonders deutlich in zwei Momenten:
 
Das erste Moment: Im Spanischen Bürgerkrieg standen die Sympathien des Bundesrates eindeutig aufseiten der aufständischen Faschisten. Über 800 junge Schweizer, meist Angestellte und Arbeiter, kämpften in den internationalen Brigaden für die Verteidigung der Republik. Bei ihrer Rückkehr in die Schweiz wurden viele der Überlebenden zu teils schweren Gefängnisstrafen verurteilt wegen »Dienst in fremden Armeen«. Schweizerische Angehörige der Waffen-SS wurden dagegen kaum belangt. Erst 25 Jahre nach Gmürs Tod wurde dieser Skandal gesühnt. Die parlamentarische Initiative des damaligen Nationalrates (heute Ständerat) Paul Rechsteiner von 2009 zwang den Bundesrat per Gesetz, die Unrechtsurteile aufzuheben.
 
Das zweite Moment: Außenminister Giuseppe Motta war ein Verehrer von Benito Mussolini. Nach dem italienischen Gasangriff auf Addis Abeba 1936 und den nachfolgenden Massakern in Wollo und Tigrinya weigerte sich die Schweiz, an den in der Charta des Völkerbundes festgelegten Wirtschaftssanktionen gegen den Aggressor teilzunehmen. Gmür schreibt: »Dem Vorwurf, die Schweiz habe durch ihren Abfall von der Kollektiv-Sicherheit die Geschäfte der faschistischen Kriegstreiber besorgt, wird demnach die Berechtigung nicht abzusprechen sein.«
 
Bereits im Krieg trat Gmür der verbotenen kommunistischen Untergrund-Partei bei und wurde daher aus der Sozialdemokratischen Partei, die er im Gemeinderat Zürich seit Frühjahr 1942 vertrat, im November 1942 ausgeschlossen. 1944 gehörte er zu den Gründern der Schweizerischen Partei der Arbeit, wurde deren Vizepräsident und Chefredaktor des Parteiblattes Vorwärts.
 
Im zweiten Band seiner »Histoire du mouvement communiste suisse« trennt der Historiker André Rauber das öffentliche Leben Gmürs in zwei Teile: die Kämpfe in der Schweiz vor und während des Zweiten Weltkrieges und das Wirken nach dem Krieg, vor allem in der DDR als Schriftsteller, Journalist und Kommentator (unter verschiedenen Pseudonymen) in der Weltbühne, der dominierenden kulturellen und intellektuellen Zeitschrift der DDR. Viele dieser großen, geistvollen Reportagen in der Weltbühne sind den Befreiungskämpfen in Afrika gewidmet. In den späten 1950er- und 1960er-Jahren befreiten sich die meisten der heute 54 souveränen Staaten des Kontinents vom kolonialen Joch. Von bewaffneten nationalen Befreiungsbewegungen, den sozialen Widerstands- und Massenbewegungen, ihren Führern und ihren Ideologien hatte die damalige europäische Öffentlichkeit kaum eine Ahnung. Die DDR war die große Ausnahme. Sie bildete Hunderte afrikanischer Kader aus, half mit Waffen und diplomatischer Unterstützung den aufständischen Völkern, insbesondere in der Sahelzone und in Zentralafrika. Die Reportagen (Interviews, Porträts) Gmürs spielten dabei eine wichtige Rolle. Insbesondere die Reportagen über Julius Nyerere und den tansanischen Befreiungskampf, über Kenneth Kaunda und den Kampf in Nordrhodesien (heute Sambia), über Sékou Touré in Guinea und Kwame Nkrumah in Ghana, dem 1957 ersten befreiten Staat in Schwarz-Afrika.
 
In Leipzig, wo Harry Gmür 1933 doktoriert hatte (Thema der Dissertation: »Thomas von Aquino und der Krieg«), existierte damals eine in Europa einzigartige Institution: das Afrika-Institut der Karl-Marx-Universität. Dort entstand die kohärente anti-imperialistische Theorie, die fortan als Basis diente für die aktive Solidaritätspolitik der DDR mit den Befreiungsbewegungen und neu entstandenen afrikanischen Staaten. Der Leiter des Institutes war der bedeutende Historiker Walter Markov. Sein wohl einflussreichstes Werk trägt den Titel: »Zur universalgeschichtlichen Einordnung des Afrikanischen Befreiungskampfes« (Leipzig 1961). Markov beriet die DDR- Regierung in ihrer aktiven solidarischen Afrika-Politik. Sein Oberassistent, mein Freund, der Soziologe Klaus Ernst, wurde Botschafter in Mali. Als Berater von Modibo Keita, Staatschef in Bamako und 1963 Mitbegründer der Organisation der Afrikanischen Einheit, übernahmen Ernst und Markov eine bedeutsame Rolle in der Definition der afrikanischen Souveränitätsstrategie.
 
Die informativen, klugen, literarisch eleganten Reportagen Gmürs trugen viel zum empirischen Wissen der Forscher des Afrika-Instituts bei. Das weiß ich dank der persönlichen Begegnung mit mehreren der einst in Leipzig tätigen Anthropologen, Historiker und Soziologen jener Zeit (seit der Wiedervereinigung ist das Institut »abgewickelt«, das heißt zerstört, liquidiert).
 
»Man kennt die Früchte nicht der Bäume, die man pflanzt«, heißt ein Sprichwort des uralten Bauernvolkes der Wolof im Senegal.
 
Dissidenten sind selten erfolgreich. Oberflächlich gesehen, enden fast alle in der Niederlage. Peter Surava und Carl Albert Loosli haben ein Leben lang gegen das helvetische Kollektiv-Verbrechen der Verdingkinder gekämpft. Zehntausende Kinder aus ärmsten Familien wurden an Bauern «verdingt». Sie wurden ausgebeutet, gequält, missbraucht und misshandelt in katholischen Waisenhäusern und staatlichen Zwangserziehungsanstalten. Die Kinder waren wehrlos. Sie litten oftmals die Hölle. Das staatlich sanktionierte Verbrechen endete erst 1981, viele Jahre nach dem Tod von Loosli und Surava. Eine scheinbare Niederlage erlitt auch Harry Gmür. Die objektive Allianz mit Walter Markov und seinen Kollegen zerbrach, als Markov wegen »Titoismus« verhaftet wurde. Unter den Nazis hatte er zwölf Jahre im Zuchthaus Bautzen gesessen. Jetzt kerkerten ihn die dumpfen Häscher der Stasi ein.
 
1944 hatte Gmür mit heller Begeisterung in der Schweiz die PDA mitgegründet. Heute ist die PDA – obschon ihr noch einige ehrenwerte Frauen und Männer angehören – eine bedeutungslose Sekte. Keine Spur mehr von der schweizweiten, demokratischen und sozialistischen Massenbewegung, die sich Harry Gmür erträumt hatte. Auch den Vorwärts gibt es noch, dessen erster Chefredaktor und Chefideologe Gmür einst war. Seine politische Bedeutung ist heute gleich null. Der Betonkonsens zwischen Finanzoligarchie, bürgerlichen Partei-Apparaten und residueller Sozialdemokratie hat unser Volk fest im Griff. Jedoch alle diese augenscheinlichen, individuellen Niederlagen der Dissidenten verstellen den Blick auf die wirkliche Wirklichkeit.
 
Im Talmud von Babylon steht der mysteriöse Satz: »Die Zukunft hat eine lange Vergangenheit.« Ohne ein von Mythen und Lügen befreites Kollektiv-Gedächtnis gibt es keine ertragbare Zukunft, für kein Land. In der Erfassung und Erhaltung dieses Kollektiv-Gedächtnisses erfüllen die Dissidenten eine entscheidende Aufgabe. Sie sind die Ehre der Schweiz, der Atem der Demokratie. Harry Gmür schulden wir tiefe Dankbarkeit und Bewunderung. Dr. Mario Gmür und dem Europa Verlag gebührt Dank für die Herausgabe dieses eindrucksvollen Buches.

Nachrichten und Pressestimmen: